Die zwei Brüder KHM 60 (1857)
Märchentyp AT: 303, 315, 567A
Es waren einmal zwei Brüder, ein reicher und ein armer. Der reiche war ein Goldschmied
und bös von Herzen; der arme nährte sich davon, dass er Besen band, und war gut und
redlich. Der arme hatte zwei Kinder, das waren Zwillingsbrüder und sich so ähnlich wie
ein Tropfen Wasser dem andern. Die zwei Knaben gingen in des Reichen Haus ab und zu, und
erhielten von dem Abfall manchmal etwas zu essen.
Es trug sich zu, dass der arme Mann, als er in den Wald ging, Reisig zu holen, einen
Vogel sah, der ganz golden war und so schön, wie ihm noch niemals einer vor Augen
gekommen war. Da hob er ein Steinchen auf, warf nach ihm und traf ihn auch glücklich; es
fiel aber nur eine goldene Feder herab, und der Vogel flog fort. Der Mann nahm die Feder
und brachte sie seinem Bruder, der sah sie an und sprach: "Es ist eitel Gold",
und gab ihm viel Geld dafür.
Am andern Tag stieg der Mann auf einen Birkenbaum und wollte ein paar Äste abhauen; da
flog derselbe Vogel heraus, und als der Mann nachsuchte, fand er ein Nest, und ein Ei lag
darin, das war von Gold. Er nahm das Ei mit heim und brachte es seinem Bruder, der sprach
wiederum: "Es ist eitel Gold", und gab ihm, was es wert war. Zuletzt sagte der
Goldschmied: "Den Vogel selber möcht ich wohl haben."
Der Arme ging zum drittenmal in den Wald und sah den Goldvogel wieder auf dem Baum
sitzen; da nahm er einen Stein und warf ihn herunter und brachte ihn seinem Bruder, der
gab ihm einen grossen Haufen Gold dafür. "Nun kann ich mir forthelfen", dachte
er und ging zufrieden nach Haus.
Der Goldschmied war klug und listig und, wusste wohl, was das für ein Vogel war. Er
rief seine Frau und sprach: "Brat mir den Goldvogel und sorge, dass nichts davon
wegkommt: ich habe Lust, ihn ganz allein zu essen." Der Vogel war aber kein
gewöhnlicher, sondern so wunderbarer Art, dass, wer Herz und Leber von ihm ass, jeden
Morgen ein Goldstück unter seinem Kopfkissen fand. Die Frau machte den Vogel zurecht,
steckte ihn an einen Spiess und liess ihn braten.
Nun geschah es, dass, während er am Feuer stand und der Frau anderer Arbeiten wegen
notwendig aus der Küche gehen musste, die zwei Kinder des armen Besenbinders
hereinliefen, sich vor den Spiess stellten und ihn ein paarmal herumdrehten. Und als da
gerade zwei Stücklein aus dem Vogel in die Pfanne herabfielen, sprach der eine: "Die
paar Bisschen wollen wir essen, ich bin so hungrig, es wirds ja niemand daran
merken." Da assen sie beide die Stückchen auf; die Frau kam aber dazu, sah, dass sie
etwas assen, und sprach: "Was habt ihr gegessen?"
"Ein paar Stückchen, die aus dem Vogel herausgefallen sind", antworteten
sie.
"Das ist Herz und Leber gewesen", sprach die Frau ganz erschrocken, und damit
ihr Mann nichts vermisste und nicht böse ward, schlachtete sie geschwind ein Hähnchen,
nahm Herz und Leber heraus und legte es zu dem Goldvogel. Als er gar war, trug sie ihn dem
Goldschmied auf, der ihn ganz allein verzehrte und nichts übrig liess.
Am andern Morgen aber, als er unter sein Kopfkissen griff und dachte, das Goldstück
hervorzuholen, war so wenig wie sonst eins zu finden. Die beiden Kinder aber wussten
nicht, was ihnen für ein Glück zuteil geworden war. Am andern Morgen, wie sie
aufstanden, fiel etwas auf die Erde und klingelte, und als sie es aufhoben, da
warens zwei Goldstücke. Sie brachten sie ihrem Vater, der wunderte sich und sprach:
"Wie sollte das zugegangen sein?" Als sie aber am andern Morgen wieder zwei
fanden, und so jeden Tag, da ging er zu seinem Bruder und erzählte ihm die seltsame
Geschichte.
Der Goldschmied merkte gleich, wie es gekommen war, und dass die Kinder Herz und Leber
von dem Goldvogel gegessen hatten, und um sich zu rächen, und weil er neidisch und
hartherzig war, sprach er zu dem Vater: "Deine Kinder sind mit dem Bösen im Spiel,
nimm das Gold nicht, und dulde sie nicht länger in deinem Haus, denn er hat Macht über
sie und kann dich selbst noch ins Verderben bringen." Der Vater fürchtete den
Bösen, und so schwer es ihm ankam, führte er doch die Zwillinge hinaus in den Wald und
verliess sie da mit traurigem Herzen.
Nun liefen die zwei Kinder im Wald umher und suchten den Weg nach Haus, konnten ihn
aber nicht finden, sondern verirrten sich immer weiter. Endlich begegneten sie einem
Jäger, der fragte: Wem gehört ihr, Kinder?"
"Wir sind des armen Besenbinders Jungen", antworteten sie und erzählten ihm,
dass ihr Vater sie nicht länger im Hause hätte behalten wollen, weil alle Morgen ein
Goldstück unter ihrem Kopfkissen läge. "Nun", sagte der Jäger, "das ist
gerade nichts Schlimmes, wenn ihr nur rechtschaffen dabei bleibt und euch nicht auf die
faule Haut legt." Der gute Mann, weil ihm die Kinder gefielen und er selbst keine
hatte, so nahm er sie mit nach Haus und sprach "ich will euer Vater sein und euch
grossziehen."
Sie lernten da bei ihm die Jägerei, und das Goldstück, das ein jeder beim Aufstehen
fand, das hob er ihnen auf, wenn sies in Zukunft nötig hätten. Als sie
herangewachsen waren, nahm sie ihr Pflegevater eines Tages mit in den Wald und sprach:
"Heute sollt ihr euern Probeschuss tun, damit ich euch freisprechen und zu Jägern
machen kann." Sie gingen mit ihm auf den Anstand und warteten lange, aber es kam kein
Wild. Der Jäger sah über sich und sah eine Kette von Schneegänsen in der Gestalt eines
Dreiecks fliegen, da sagte er zu dem einen: "Nun schiess von jeder Ecke eine
herab." Der tats und vollbrachte damit seinen Probeschuss. Bald darauf kam noch
eine Kette angeflogen und hatte die Gestalt der Ziffer Zwei; da hiess der Jäger den
andern gleichfalls von jeder Ecke eine herunterholen, und dem gelang sein Probeschuss
auch. Nun sagte der Pflegevater "ich spreche euch frei, ihr seid ausgelernte
Jäger."
Darauf gingen die zwei Brüder zusammen in den Wald, ratschlagten miteinander und
verabredeten etwas. Und als sie abends sich zum Essen niedergesetzt hatten, sagten sie zu
ihrem Pflegevater: "Wir rühren die Speise nicht an und nehmen keinen Bissen, bevor
Ihr uns eine Bitte gewährt habt." Sprach er: "Was ist denn eure Bitte?"
"Sie antworteten: "Wir haben nun ausgelernt, wir müssen uns auch in der Welt
versuchen, so erlaubt, dass wir fortziehen und wandern." Da sprach der Alte mit
Freuden: "Ihr redet wie brave Jäger, was ihr begehrt, ist mein eigener Wunsch
gewesen; zieht aus, es wird euch wohl ergehen." Darauf assen und tranken sie
fröhlich zusammen.
Als der bestimmte Tag kam, schenkte der Pflegevater jedem eine gute Büchse und einen
Hund und liess jeden von seinen gesparten Goldstücken nehmen, so viel er wollte. Darauf
begleitete er sie ein Stück Wegs, und beim Abschied gab er ihnen noch ein blankes Messer
und sprach: "Wann ihr euch einmal trennt, so stosst dies Messer am Scheideweg in
einen Baum, daran kann einer, wenn er zurückkommt, sehen, wie es seinem abwesenden Bruder
ergangen ist, denn die Seite, nach welcher dieser ausgezogen ist, rostet, wann er stirbt;
solange er aber lebt, bleibt sie blank."
Die zwei Brüder gingen immer weiter fort und kamen in einen Wald, so gross, dass sie
unmöglich in einem Tag heraus konnten. Also blieben sie die Nacht darin und assen, was
sie in die Jägertasche gesteckt hatten; sie gingen aber auch noch den zweiten Tag und
kamen nicht heraus. Da sie nichts zu essen hatten, so sprach der eine: "Wir müssen
uns etwas schiessen, sonst leiden wir Hunger", lud seine Büchse und sah sich um. Und
als ein alter Hase dahergelaufen kam, legte er an, aber der Hase rief: "Lieber
Jäger, lass mich leben, ich will dir auch zwei Junge geben." Sprang auch gleich ins
Gebüsch und brachte zwei Junge; die Tierlein spielten aber so munter und waren so artig,
dass die Jäger es nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten. Sie behielten sie
also bei sich, und die kleinen Hasen folgten ihnen auf dem Fusse nach. Bald darauf schlich
ein Fuchs vorbei, den wollten sie niederschiessen, aber der Fuchs rief: "Lieber
Jäger, lass mich leben, ich will dir auch zwei Junge geben."
Er brachte auch zwei Füchslein, und die Jäger mochten sie auch nicht töten, gaben
sie den Hasen zur Gesellschaft, und sie folgten ihnen nach. Nicht lange, so schritt ein
Wolf aus dem Dickicht, die Jäger legten auf ihn an, aber der Wolf rief: "Lieber
Jäger, lass mich leben, ich will dir auch zwei Junge geben." Die zwei jungen Wölfe
taten die Jäger zu den anderen Tieren, und sie folgten ihnen nach. Darauf kam ein Bär,
der wollte gern noch länger herumtraben und rief: "Lieber Jäger, lass mich leben,
ich will dir auch zwei Junge geben." Die zwei jungen Bären wurden zu den andem
gesellt und waren ihrer schon acht. Endlich, wer kam? Ein Löwe kam und schüttelte seine
Mähnen. Aber die Jäger liessen sich nicht schrecken und zielten auf ihn; aber der Löwe
sprach gleichfalls: "Lieber Jäger, lass mich leben, ich will dir auch zwei Junge
geben." Er holte auch seine Jungen herbei, und nun hatten die Jäger zwei Löwen,
zwei Bären, zwei Wölfe, zwei Füchse und zwei Hasen, die ihnen nachzogen und dienten.
Indessen war ihr Hunger damit nicht gestillt worden, da sprachen sie zu den Füchsen:
"Hört, ihr Schleicher, schafft uns etwas zu essen, ihr seid ja listig und
verschlagen." Sie antworteten: "Nicht weit von hier liegt ein Dorf, wo wir schon
manches Huhn geholt haben; den Weg dahin wollen wir euch zeigen." Da gingen sie ins
Dorf, kauften sich etwas zu essen und liessen auch ihren Tieren Futter geben, und zogen
dann weiter. Die Füchse aber wussten guten Bescheid in der Gegend, wo die Hühnerhöfe
waren, und konnten die Jäger überall zurechtweisen.
Nun zogen sie eine Weile herum, konnten aber keinen Dienst finden, wo sie
zusammen-geblieben wären, da sprachen sie: "Es geht nicht anders, wir müssen uns
trennen." Sie teilten die Tiere, so dass jeder einen Löwen, einen Bären, einen
Wolf, einen Fuchs und einen Hasen bekam; dann nahmen sie Abschied, versprachen sich
brüderliche Liebe bis in den Tod und stiessen das Messer, das ihnen ihr Pflegevater
mitgegeben, in einen Baum; worauf der eine nach Osten, der andere nach Westen zog.
Der jüngste aber kam mit seinen Tieren in eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Flor
überzogen. Er ging in ein Wirtshaus und fragte den Wirt, ob er nicht seine Tiere
beherbergen könnte. Der Wirt gab ihnen einen Stall, wo in der Wand ein Loch war: da kroch
der Hase hinaus und holte sich ein Kohlhaupt, und der Fuchs holte sich ein Huhn, und als
er das gefressen hatte, auch den Hahn dazu; der Wolf aber, der Bär und der Löwe, weil
sie zu gross waren, konnten nicht hinaus. Da liess sie der Wirt hinbringen, wo eben eine
Kuh auf dem Rasen lag, dass sie sich satt frassen. Und als der Jäger für seine Tiere
gesorgt hatte, fragte er erst den Wirt, warum die Stadt so mit Trauerflor ausgehängt
wäre.
Sprach der Wirt: "Weil morgen unseres Königs einzige Tochter sterben wird."
Fragte der Jäger "ist sie sterbenskrank?" "Nein", antwortete der
Wirt, "sie ist frisch und gesund, aber sie muss doch sterben." "Wie geht
das zu?" fragte der Jäger. "Draussen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf
wohnt ein Drache, der muss alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwüstet er das
ganze Land. Nun sind schon alle Jungfrauen hingegeben, und ist niemand mehr übrig als die
Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muss ihm überliefert werden; und das soll
morgen geschehen." Sprach der Jäger: "Warum wird der Drache nicht
getötet?" "Ach", antwortete der Wirt, "so viele Ritter habens
versucht, aber allesamt ihr Leben eingebüsst; der König hat dem, der den Drachen
besiegt, seine Tochter versprochen, und er soll auch nach seinem Tode das Reich
erben."
Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Tiere und
stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da stand oben eine kleine Kirche, und auf dem Altar
standen drei gefüllte Becher, und dabei war die Schrift "Wer die Becher austrinkt,
wird der stärkste Mann auf Erden, und wird das Schwert führen, das vor der Türschwelle
vergraben liegt." Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in
der Erde, vermochte aber nicht, es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die
Becher aus und war nun stark genug, das Schwert aufzunehmen, und seine Hand konnte es ganz
leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Jungfrau dem Drachen sollte ausgeliefert
werden, begleitete sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus.
Sie sah von weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte, der Drache stände
da und erwartete sie, und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt
sonst wäre verloren gewesen, musste sie den schweren Gang tun. Der König und die
Hofleute kehrten voll grosser Trauer heim, des Königs Marschall aber sollte stehen
bleiben und aus der Ferne alles mit ansehen.
Als die Königstochter oben auf den Berg kam, stand da nicht der Drache, sondern der
junge Jäger, der sprach ihr Trost ein und sagte, er wollte sie retten, führte sie in die
Kirche und verschloss sie darin. Gar nicht lange, so kam mit grossem Gebraus der
siebenköpfige Drache dahergefahren. Als er den Jäger erblickte, verwunderte er sich und
sprach: "Was hast du hier auf dem Berge zu schaffen?" Der Jäger antwortete:
"Ich will mit dir kämpfen." Sprach der Drache: "So mancher Rittersmann hat
hier sein Leben gelassen, mit dir will ich auch fertig werden", und atmete Feuer aus
sieben Rachen. Das Feuer sollte das trockene Gras anzünden, und der Jäger sollte in der
Glut und dem Dampf ersticken, aber die Tiere kamen herbeigelaufen und traten das Feuer
aus.
Da fuhr der Drache gegen den Jäger, aber er schwang sein Schwert, dass es in der Luft
sang, und schlug ihm drei Köpfe ab. Da ward der Drache erst recht wütend, erhob sich in
die Luft, spie die Feuerflammen über den Jäger aus und wollte sich auf ihn stürzen,
aber der Jäger zückte nochmals sein Schwert und hieb ihm wieder drei Köpfe ab. Das
Untier ward matt und sank nieder, und wollte doch wieder auf den Jäger los, aber er
schlug ihm mit der letzten Kraft den Schweif ab, und weil er nicht mehr kämpfen konnte,
rief er seine Tiere herbei, die zerrissen es in Stücke. Als der Kampf zu Ende war,
schloss der Jäger die Kirche auf, und fand die Königstochter auf der Erde liegen, weil
ihr die Sinne vor Angst und Schrecken während des Streites vergangen waren. Er trug sie
heraus, und als sie wieder zu sich selbst kam und, die Augen aufschlug, zeigte er ihr den
zerrissenen Drachen und sagte ihr, dass sie nun erlöst wäre. Sie freute sich und sprach:
"Nun wirst du mein liebster Gemahl werden, denn mein Vater hat mich demjenigen
versprochen, der den Drachen tötet."
Darauf hing sie ihr Halsband von Korallen ab und verteilte es unter die Tiere, um sie
zu belohnen, und der Löwe erhielt das goldene Schlösschen davon. Ihr Taschentuch aber,
in dem ihr Name stand, schenkte sie dem Jäger, der ging hin und schnitt aus den sieben
Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das Tuch und verwahrte sie wohl.
Als das geschehen war, weil er von dem Feuer und dem Kampf so matt und müde war,
sprach er zur Jungfrau: "Wir sind beide so matt und müde, wir wollen ein wenig
schlafen." Da sagte sie ja, und sie liessen sich auf die Erde nieder, und der Jäger
sprach zu dem Löwen: "Du sollst wachen, damit uns niemand im Schlaf
überfällt", und beide schliefen ein. Der Löwe legte sich neben sie, um zu wachen,
aber er war vom Kampf auch müde, dass er den Bären rief und sprach: "Lege dich
neben mich, ich muss ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich auf." Da
legte sich der Bär neben ihn, aber er war auch müde und rief den Fuchs und sprach:
"Lege dich neben mich, ich muss ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so wecke mich
auf." Da legte sich der Wolf neben ihn, aber er war auch müde und rief den Fuchs und
sprach: "Lege dich neben mich, ich muss ein wenig schlafen, und wenn was kommt, so
wecke mich auf." Da legte sich der Fuchs neben ihn, aber er war auch müde, rief den
Hasen und sprach: "Lege dich neben mich, ich muss ein wenig schlafen, und wenn was
kommt, so wecke mich auf." Da setzte sich der Hase neben ihn, aber der arme Has war
auch müde, und hatte niemand, den er zur Wache herbeirufen konnte, und schlief ein.
Da schlief nun die Königstochter, der Jäger, der Löwe, der Bär, der Wolf, der Fuchs
und der Hase, und schliefen alle einen festen Schlaf. Der Marschall aber, der von weitem
hatte zuschauen sollen, als er den Drachen nicht mit der Jungfrau fortliegen sah und alles
auf dem Berg ruhig ward, nahm sich ein Herz und stieg hinauf. Da lag der Drache zerstückt
und zerrissen auf der Erde, und nicht weit davon die Königstochter und ein Jäger mit
seinen Tieren, die waren alle in tiefen Schlaf versunken. Und weil er bös und gottlos
war, so nahm er sein Schwert und hieb dem Jäger das Haupt ab, und fasste die Jungfrau auf
den Arm und trug sie den Berg hinab. Da erwachte sie und erschrak, aber der Marschall
sprach: "Du bist in meinen Händen, du sollst sagen, dass ich es gewesen bin, der den
Drachen getötet hat." "Das kann ich nicht", antwortete sie, "denn ein
Jäger mit seinen Tieren hats getan." Da zog er sein Schwert und drohte sie zu
töten, wo sie ihm nicht gehorchte, und zwang sie damit, dass sie es versprach.
Darauf brachte er sie vor den König, der sich vor Freude nicht zu lassen wusste, als
er sein liebes Kind wieder lebend erblickte, das er von dem Untier zerrissen glaubte. Der
Marschall sprach zu ihm: "Ich habe den Drachen getötet, und die Jungfrau und das
ganze Reich befreit, darum fordere ich sie zur Gemahlin, so wie es zugesagt ist." Der
König fragte die Jungfrau: "Ist das wahr, was er spricht?" "Ach ja",
antwortete sie, "es muss wohl wahr sein: aber ich halte mir aus, dass erst über Jahr
und Tag die Hochzeit gefeiert wird", denn sie dachte in der Zeit etwas von ihrem
lieben Jäger zu hören.
Auf dem Drachenberg aber lagen noch die Tiere neben ihrem toten Herrn und schliefen, da
kam eine grosse Hummel und setzte sich dem Hasen auf die Nase, aber der Hase wischte sie
mit der Pfote ab und schlief weiter. Die Hummel kam zum zweitenmal, aber der Hase wischte
sie wieder ab und schlief fort. Da kam sie zum drittenmal und stach ihm in die Nase, dass
der aufwachte. Sobald der Hase wach war, weckte er den Fuchs, und der Fuchs den Wolf, und
der Wolf den Bär, und der Bär den Löwen.
Und als der Löwe aufwachte und sah, dass die Jungfrau fort war und sein Herr tot, fing
er an fürchterlich zu brüllen und rief: "Wer hat das vollbracht? Bär, warum hast
du mich nicht geweckt?" Der Bär fragte den Wolf: "Warum hast du mich nicht
geweckt?" Und der Wolf den Fuchs: "Warum hast du mich nicht geweckt?"
Und der Fuchs den Hasen: "Warum hast du mich nicht geweckt?" Der arme Has
wusste allein nichts zu antworten, und die Schuld blieb auf ihm hangen. Da wollten sie
über ihn herfallen, aber er bat und sprach: "Bringt mich nicht um, ich will unsern
Herrn wieder lebendig machen. Ich weiss einen Berg, da wächst eine Wurzel, wer die im
Mund hat, der wird von aller Krankheit und allen Wunden geheilt. Aber der Berg liegt
zweihundert Stunden von hier." Sprach der Löwe: "In vierundzwanzig Stunden
musst du hin- und hergelaufen sein und die Wurzel mitbringen." Da sprang der Hase
fort, und in vierundzwanzig Stunden war er zurück und brachte die Wurzel mit.
Der Löwe setzte dem Jäger den Kopf wieder an, und der Hase steckte ihm die Wurzel in
den Mund, alsbald fügte sich alles wieder zusammen, und das Herz schlug, und das Leben
kehrte zurück. Da erwachte der Jäger und erschrak, als er die Jungfrau nicht mehr sah,
und dachte: "Sie ist wohl fortgegangen, während ich schlief, um mich los zu
werden." Der Löwe hatte in der grossen Eile seinem Herrn den Kopf verkehrt
aufgesetzt, der aber merkte es nicht bei seinen traurigen Gedanken an die Königstochter:
erst zu Mittag, als er etwas essen wollte, da sah er, dass ihm der Kopf nach dem Rücken
zu stand, konnte es nicht begreifen und fragte die Tiere, was ihm im Schlaf widerfahren
wäre.
Da erzählte ihm der Löwe, dass sie auch alle aus Müdigkeit eingeschlafen wären, und
beim Erwachen hätten sie ihn tot gefunden mit abgeschlagenem Haupte, der Hase hätte die
Lebenswurzel geholt, er aber in der Eil den Kopf verkehrt gehalten; doch wollte er seinen
Fehler wieder gutmachen. Dann riss er dem Jäger den Kopf wieder ab, drehte ihn herum, und
der Hase heilte ihn mit der Wurzel fest.
Der Jäger aber war traurig, zog in der Welt herum und liess seine Tiere vor den Leuten
tanzen. Es trug sich zu, dass er gerade nach Verlauf eines Jahres wieder in dieselbe Stadt
kam, wo er die Königstochter vom Drachen erlöst hatte, und die Stadt war diesmal ganz
mit rotem Scharlach ausgehängt. Da sprach er zum Wirt: "Was will das sagen? Vorm
Jahr war die Stadt mit schwarzem Flor überzogen, was soll heute der rote Scharlach?"
Der Wirt antwortete: "Vorm Jahr sollte unsers Königs Tochter dem Drachen
ausgeliefert werden, aber der Marschall hat mit ihm gekämpft und ihn getötet, und da
soll morgen ihre Vermählung gefeiert werden; darum war die Stadt damals mit schwarzem
Flor zur Trauer, und ist heute mit rotem Scharlach zur Freude ausgehängt."
Am andern Tag, wo die Hochzeit sein sollte, sprach der Jäger um Mittagszeit zum Wirt:
"Glaubt Er wohl, Herr Wirt, dass ich heut Brot von des Königs Tisch hier bei ihm
essen will?" "Ja", sprach der Wirt, "da wollt ich doch noch hundert
Goldstücke dran setzen, dass das nicht wahr ist." Der Jäger nahm die Wette an und
setzte einen Beutel mit ebenso viel Goldstücken dagegen. Dann rief er den Hasen und
sprach: "Geh hin, lieber Springer, und hol mir von dem Brot, das der König
isst." Nun war das Häslein das geringste und konnte es keinem andern wieder
auftragen, sondern musste sich selbst auf die Beine machen. "Ei", dachte es,
"wann ich so allein durch die Strassen springe, da werden die Metzgerhunde hinter mir
drein sein." Wie es dachte, so geschah es auch, und die Hunde kamen hinter ihm
drein und wollten ihm sein gutes Fell flicken. Es sprang aber, hast du nicht gesehen! und
flüchtete sich in ein Schilderhaus, ohne dass es der Soldat gewahr wurde. Da kamen die
Hunde und wollten es herausheben, aber der Soldat verstand keinen Spass und schlug mit dem
Kolben drein, dass sie schreiend und heulend fortliefen.
Als der Hase merkte, dass die Luft rein war, sprang er zum Schloss hinein und gerade
zur Königstochter, setzte sich unter ihren Stuhl, und kratzte sie am Fuss. Da sagte sie:
"Willst du fort!" und meinte, es wäre ihr Hund. Der Hase kratzte zum zweitenmal
am Fuss, da sagte sie wieder: "Willst du fort! " und meinte, es wäre der Hund.
Aber der Hase liess sich nicht irre machen und kratzte zum drittenmal, da guckte sie
herab, und erkannte den Hasen an seinem Halsband.
Nun nahm sie ihn auf ihren Schoss, trug ihn in ihre Kammer und sprach: "Lieber
Hase, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat,
ist hier und schickt mich, ich soll um ein Brot bitten, wie es der König isst." Da
war sie voll Freude, und liess den Bäcker kommen und befahl ihm, ein Brot zu bringen, wie
es der König ass. Sprach das Häslein: "Aber der Bäcker muss mirs auch hintragen,
damit mir die Metzgerhunde nichts tun." Der Bäcker trug es ihm bis an die Türe der
Wirtsstube, da stellte sich der Hase auf die Hinterbeine, nahm alsbald das Brot in die
Vorderpfoten und brachte es seinem Herrn. Da sprach der Jäger: "Sieht Er, Herr Wirt,
die hundert Goldstücke sind mein." Der Wirt wunderte sich, aber der Jäger sagte
weiter: "Ja, Herr Wirt, das Brot hätt ich, nun will ich aber auch von des Königs
Braten essen!"
Der Wirt sagte: "Das möcht ich sehen", aber wetten wollte er nicht mehr.
Rief der Jäger den Fuchs und sprach: "Mein Füchslein, geh hin und hol mir Braten,
wie ihn der König isst." Der Rotfuchs wusste die Schliche besser, ging an den Ecken
und durch die Winkel, ohne dass ihn ein Hund sah, setzte sich unter der Königstochter
Stuhl, und kratzte an ihrem Fuss. Da sah sie herab und erkannte den Fuchs am Halsband,
nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach: "Lieber Fuchs, was willst du?"
Antwortete er "mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, und schickt
mich, ich soll bitten um einen Braten, wie ihn der König isst." Da liess sie den
Koch kommen, der musste einen Braten, wie ihn der König ass, anrichten und dem Fuchs bis
an die Türe tragen; da nahm ihm der Fuchs die Schüssel ab, wedelte mit seinem Schwanz
erst die Fliegen weg, die sich auf den Braten gesetzt hatten, und brachte ihn dann seinem
Herrn. "Sieht Er, Herr Wirt", sprach der Jäger, "Brot und Fleisch ist da,
nun will ich auch Zugemüs essen, wie es der König isst." Da rief er den Wolf und
sprach: "Lieber Wolf, geh hin und hol mir Zugemüs, wies der König isst." Da
ging der Wolf geradezu ins Schloss, weil er sich vor niemand fürchtete, und als er in der
Königstochter Zimmer kam, da zupfte er sie hinten am Kleid, dass sie sich umschauen
musste. Sie erkannte ihn am Halsband, und nahm ihn mit in ihre Kammer und sprach:
"Lieber Wolf, was willst du?" Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen
getötet hat, ist hier, ich soll bitten um ein Zugemüs, wie es der König ist." Da
liess sie den Koch kommen, der musste ein Zugemüs bereiten, wie es der König ass, und
musste es dem Wolf bis vor die Türe tragen, da nahm ihm der Wolf die Schüssel ab und
brachte sie seinem Herrn. "Sieht Er, Herr Wirt", sprach der Jäger, "nun
hab ich Brot, Fleisch und Zugemüs, aber ich will auch Zuckerwerk essen, wie es der König
isst."
Rief er den Bären und sprach: "Lieber Bär, du leckst doch gern etwas Süsses,
geh hin und hol mir Zuckerwerk, wies der König isst." Da trabte der Bär nach dem
Schlosse, und ging ihm jedermann aus dem Wege: als er aber zu der Wache kam, hielt sie die
Flinten vor und wollte ihn nicht ins königliche Schloss lassen. Aber er hob sich in die
Höhe und gab mit seinen Tatzen links und rechts ein paar Ohrfeigen, dass die ganze Wache
zusammenfiel, und darauf ging er geradesweges zu der Königstochter, stellte sich hinter
sie und brummte ein wenig. Da schaute sie rückwärts und erkannte den Bären, und hiess
ihn mitgehen in ihre Kammer und sprach: "Lieber Bär, was willst du?"
Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten
um Zuckerwerk, wies der König isst." Da liess sie den Zuckerbäcker kommen, der
musste Zuckerwerk backen, wies der König ass, und dem Bären vor die Türe tragen: da
leckte der Bär erst die Zuckererbsen auf, die heruntergerollt waren, dann stellte er sich
aufrecht, nahm die Schüssel und brachte sie seinem Herrn. "Sieht Er, Herr
Wirt", sprach der Jäger, "nun habe ich Brot, Fleisch, Zugemüs und Zuckerwerk,
aber ich will auch Wein trinken, wie ihn der König trinkt." Er rief seinen Löwen
herbei und sprach: "Lieber Löwe, du trinkst dir doch gerne einen Rausch, geh und hol
mir Wein, wie ihn der König trinkt." Da schritt der Löwe über die Strasse, und die
Leute liefen vor ihm, und als er an die Wache kam, wollte sie den Weg sperren, aber er
brüllte nur einmal, so sprang alles fort. Nun ging der Löwe vor das königliche Zimmer
und klopfte mit seinem Schweif an die Türe. Da kam die Königstochter heraus, und wäre
fast über den Löwen erschrocken, aber sie erkannte ihn an dem goldenen Schloss von ihrem
Halsbande, und hiess ihn mit in ihre Kammer gehen und sprach: "Lieber Löwe, was
willst du?"
Antwortete er: "Mein Herr, der den Drachen getötet hat, ist hier, ich soll bitten
um Wein, wie ihn der König trinkt." Da liess sie den Mundschenk kommen, der sollte
dem Löwen Wein geben, wie ihn der König tränke. Sprach der Löwe: "Ich will
mitgehen und sehen, dass ich den rechten kriege." Da ging er mit dem Mundschenk
hinab, und als sie unten hinkamen, wollte ihm dieser von dem gewöhnlichen Wein zapfen,
wie ihn des Königs Diener tranken, aber der Löwe sprach: "Halt! ich will den Wein
erst versuchen", zapfte sich ein halbes Mass und schluckte es auf einmal hinab.
"Nein", sagte er, "das ist nicht der rechte." Der Mundschenk sah ihn
schief an, ging aber und wollte ihm aus einem andere Fass geben, das für des Königs
Marschall war. Sprach der Löwe: "Halt! erst will ich den Wein versuchen",
zapfte sich ein halbes Mass und trank es, "der ist besser, aber noch nicht der
rechte." Da ward der Mundschenk bös und sprach: "Was so ein dummes Vieh vom
Wein verstehen will!" Aber der Löwe gab ihm einen Schlag hinter die Ohren, dass er
unsanft zur Erde fiel, und als er sich wieder aufgemacht hatte, führte er den Löwen ganz
stillschweigens in einen kleinen besonderen Keller, wo des Königs Wein lag, von dem sonst
kein Mensch zu trinken bekam. Der Löwe zapfte sich erst ein halbes Mass und versuchte den
Wein, dann sprach er: "Das kann von dem rechten sein", und hiess den Mundschenk
sechs Flaschen füllen.
Nun stiegen sie herauf, wie der Löwe aber aus dem Keller ins Freie kam, schwankte er
hin und her und war ein wenig trunken, und der Mundschenk musste ihm den Wein bis vor die
Türe tragen, da nahm der Löwe den Henkelkorb in das Maul und brachte ihn seinem Herrn.
Sprach der Jäger: "Sieht Er, Herr Wirt, da hab ich Brot, Fleisch, Zugemüs,
Zuckerwerk und Wein, wie es der König hat, nun will ich mit meinen Tieren Mahlzeit
halten", und setzte sich hin, ass und trank, und gab dem Hasen, dem Fuchs, dem Wolf,
dem Bär und dem Löwen auch davon zu essen und zu trinken, und war guter Dinge, denn er
sah, dass ihn die Königstochter noch lieb hatte. Und als er Mahlzeit gehalten hatte,
sprach er: "Herr Wirt, nun hab ich gegessen und getrunken, wie der König isst und
trinkt, jetzt will ich an des Königs Hof gehen und die Königstochter heiraten."
Fragte der Wirt: "Wie soll das zugehen, da sie schon einen Bräutigam hat und
heute die Vermählung gefeiert wird?" Da zog der Jäger das Taschentuch heraus, das
ihm die Königstochter auf dem Drachenberg gegeben hatte, und worin die sieben Zungen des
Untiers eingewickelt waren, und sprach: "Dazu soll mir helfen, was ich da in der Hand
halte." Da sah der Wirt das Tuch an und sprach: "Wenn ich alles glaube, so
glaube ich das nicht, und will wohl Haus und Hof dran setzen." Der Jäger aber nahm
einen Beutel mit tausend Goldstücken, stellte ihn auf den Tisch und sagte "das setze
ich dagegen."
Nun sprach der König an der königlichen Tafel zu seiner Tochter: "Was haben die
wilden Tiere alle gewollt, die zu dir gekommen und in mein Schloss ein- und ausgegangen
sind?" Da antwortete sie: "ich darfs nicht sagen, aber schickt hin und
lasst den Herrn dieser Tiere holen, so werdet Ihr wohl tun." Der König schickte
einen Diener ins Wirtshaus und liess den fremden Mann einladen, und der Diener kam gerade,
wie der Jäger mit dem Wirt gewettet hatte. Da sprach er: "Sieht Er, Herr Wirt, da
schickt der König einen Diener und lässt mich einladen, aber ich gehe so noch
nicht." Und zu dem Diener sagte er: "Ich lasse den Herrn König bitten, dass er
mir königliche Kleider schickt, einen Wagen mit sechs Pferden und Diener, die mir
aufwerten."
Als der König die Antwort hörte, sprach er zu seiner Tochter: "Was soll ich
tun?" Sagte sie: "Lasst ihn holen, wie ers verlangt, so werdet Ihr wohl
tun." Da schickte der König königliche Kleider, einen Wagen mit sechs Pferden und
Diener, die ihm aufwerten sollten. Als der Jäger sie kommen sah, sprach er: "Sieht
Er, Herr Wirt, nun werde ich abgeholt, wie ich es verlangt habe", und zog die
königlichen Kleider an, nahm das Tuch mit den Drachenzungen und fuhr zum König. Als ihn
der König kommen sah, sprach er zu seiner Tochter: "Wie soll ich ihn
empfangen?" Antwortete sie: "Geht ihm entgegen, so werdet Ihr wohl tun."
Da ging ihm der König entgegen und führte ihn herauf, und seine Tiere folgten ihm
nach. Der König wies ihm einen Platz an neben sich und seiner Tochter, der Marschall sass
auf der anderen Seite, als Bräutigam, aber der kannte ihn nicht mehr. Nun wurden gerade
die sieben Häupter des Drachen zur Schau aufgetragen, und der König sprach: "Die
sieben Häupter hat der Marschall dem Drachen abgeschlagen, darum geh ich ihm heute meine
Tochter zur Gemahlin." Da stand der Jäger auf, öffnete die sieben Rachen und
sprach: "Wo sind die sieben Zungen des Drachens?" Da erschrak der Marschall,
ward bleich und wusste nicht, was er antworten sollte, endlich sagte er in der Angst:
"Drachen haben keine Zungen."
Sprach der Jäger: "Die Lügner sollten keine haben, aber die Drachenzungen sind
das Wahrzeichen des Siegers", und wickelte das Tuch auf, da lagen sie alle siebene
darin, und dann steckte er jede Zunge in den Rachen, in den sie gehörte, und sie passte
genau. Darauf nahm er das Tuch, in welches der Name der Königstochter gestickt war, und
zeigte es der Jungfrau und fragte sie, wem sie es gegeben hätte, da antwortete sie:
"Dem, der den Drachen getötet hat." Und dann rief er sein Getier, nahm jedem
das Halsband und dem Löwen das goldene Schloss ab, und zeigte es der Jungfrau und fragte,
wem es angehörte. Antwortete sie: "Das Halsband und das goldene Schloss waren mein,
ich habe es unter die Tiere verteilt, die den Drachen besiegen halfen."
Da sprach der Jäger: "Als ich müde von dem Kampf geruht und geschlafen habe, da
ist der Marschall gekommen und hat mir den Kopf abgehauen. Dann hat er die Königstochter
fortgetragen und vorgegeben, er sei es gewesen, der den Drachen getötet habe; und dass er
gelogen hat, beweise ich mit den Zungen, dem Tuch und dem Halsband." Und dann
erzählte er, wie ihn seine Tiere durch eine wunderbare Wurzel geheilt hätten und dass er
ein Jahr lang mit ihnen herumgezogen und endlich wieder hierher gekommen wäre, wo er den
Betrug des Marschalls durch die Erzählung des Wirtes erfahren hätte.
Da fragte der König seine Tochter: "Ist es wahr, dass dieser den Drachen getötet
hat?" Da antwortete sie: "Ja, es ist wahr; jetzt darf ich die Schandtat des
Marschalls offenbaren, weil sie ohne mein Zutun an den Tag gekommen ist, denn er hat mir
das Versprechen zu schweigen abgezwungen. Darum aber habe ich mir ausgehalten, dass erst
in Jahr und Tag die Hochzeit sollte gefeiert werden."
Da liess der König zwölf Ratsherren rufen, die sollten über den Marschall Urteil
sprechen, und die urteilten, dass er müsste von vier Ochsen zerrissen werden. Also ward
der Marschall gerichtet, der König aber übergab seine Tochter dem Jäger und ernannte
ihn zu seinem Statthalter im ganzen Reich. Die Hochzeit ward mit grossen Freuden gefeiert,
und der junge König liess seinen Vater und Pflegevater holen und überhäufte sie mit
Schätzen. Den Wirt vergass er auch nicht, und liess ihn kommen und sprach zu ihm:
"Sieht Er, Herr Wirt, die Königstochter habe ich geheiratet, und sein Haus und Hof
sind mein." Sprach der Wirt "ja, das wäre nach dem Rechten." Der junge
König aber sagte: "Es soll nach Gnaden gehen: Haus und Hof soll er behalten, und die
tausend Goldstücke schenke ich ihm noch dazu." Nun waren der junge König und die
junge Königin guter Dinge und lebten vergnügt zusammen. Er zog oft hinaus auf die Jagd,
weil das seine Freude war, und die treuen Tiere mussten ihn begleiten.
Es lag aber in der Nähe ein Wald, von dem es hiess, er wäre nicht geheuer, und wäre
einer erst darin, so käme er nicht leicht wieder heraus. Der junge König hatte aber
grosse Lust, darin zu jagen, und liess dem alten König keine Ruhe, bis er es ihm
erlaubte. Nun ritt er mit einer grossen Begleitung aus, und als er zu dem Wald kam, sah er
eine schneeweisse Hirschkuh darin und sprach zu seinen Leuten: "Haltet hier, bis ich
zurückkomme, ich will das schöne Wild jagen", und ritt ihm nach in den Wald hinein,
und nur seine Tiere folgten ihm. Die Leute hielten und warteten bis Abend, aber er kam
nicht wieder; da ritten sie heim und erzählten der jungen Königin: "Der junge
König ist im Zauberwald einer weissen Hirschkuh nachgejagt, und ist nicht
wiedergekommen." Da war sie in grosser Besorgnis um ihn.
Er war aber dem schönen Wild immer nachgeritten, und konnte es niemals einholen; wenn
er meinte, es wäre schussrecht, so sah er es gleich wieder in weiter Ferne dahinspringen,
und endlich verschwand es ganz. Nun merkte er, dass er tief in den Wald hineingeraten war,
nahm sein Horn und blies, aber er bekam keine Antwort, denn seine Leute konntens nicht
hören. Und da auch die Nacht einbrach, sah er, dass er diesen Tag nicht heim kommen
könnte, stieg ab, machte sich bei einem Baum ein Feuer an und wollte dabei übernachten.
Als er bei dem Feuer sass, und seine Tiere sich auch neben ihn gelegt hatten, deuchte
ihn, als hörte er eine menschliche Stimme; er schaute umher, konnte aber nichts bemerken.
Bald darauf hörte er wieder ein Ächzen wie von oben her, da blickte er in die Höhe und
sah ein altes Weib auf dem Baum sitzen, das jammerte in einem fort "hu, hu, hu, was
mich friert!" Sprach er: "Steig herab und wärme dich, wenn dich friert."
Sie aber sagte: "Nein, deine Tiere beissen mich."
Antwortete er: "Sie tun dir nichts, altes Mütterchen, komm nur herunter. "
Sie war aber eine Hexe und sprach: "Ich will dir eine Rute von dem Baum herabwerfen,
wenn du sie damit auf den Rücken schlägst, tun sie mir nichts." Da warf sie ihm ein
Rütlein herab, und er schlug sie damit, alsbald lagen sie still und waren in Stein
verwandelt. Und als die Hexe vor den Tieren sicher war, sprang sie herunter und rührte
auch ihn mit einer Rute an und verwandelte ihn in Stein. Darauf lachte sie und schleppte
ihn und die Tiere in einen Graben, wo schon mehr solcher Steine lagen.
Als aber der junge König gar nicht wiederkam, ward die Angst und Sorge der Königin
immer grösser. Nun trug sich zu, dass gerade in dieser Zeit der andere Bruder, der bei
der Trennung gen Osten gewandelt war, in das Königreich kam. Er hatte einen Dienst
gesucht und keinen gefunden, war dann herumgezogen hin und her, und hatte seine Tiere
tanzen lassen. Da fiel ihm ein, er wollte einmal nach dem Messer sehen, das sie bei ihrer
Trennung in einen Baumstamm gestossen hatten, um zu erfahren, wie es seinem Bruder ginge.
Wie er dahin kam, war seines Bruders Seite halb verrostet und halb war sie noch blank. Da
erschrak er und dachte "meinem Bruder muss ein grosses Unglück zugestossen sein,
doch kann ich ihn vielleicht noch retten, denn die Hälfte des Messers ist noch
blank."
Er zog mit seinen Tieren gen Westen, und als er in das Stadttor kam, trat ihm die Wache
entgegen und fragte, ob sie ihn bei seiner Gemahlin melden sollte: die junge Königin
wäre schon seit ein paar Tagen in grosser Angst über sein Ausbleiben und fürchtete, er
wäre im Zauberwald umgekommen. Die Wache nämlich glaubte nicht anders, als er wäre der
junge König selbst, so ähnlich sah er ihm, und hatte auch die wilden Tiere hinter sich
laufen.
Da merkte er, dass von seinem Bruder die Rede war, und dachte: "Es ist das beste,
ich gebe mich für ihn aus, so kann ich ihn wohl leichter erretten." Also liess er
sich von der Wache ins Schloss begleiten, und ward mit grossen Freuden empfangen. Die
junge Königin meinte nicht anders, als es wäre ihr Gemahl, und fragte ihn, warum er so
lange ausgeblieben wäre. Er antwortete: "Ich hatte mich in einem Walde verirrt und
konnte mich nicht eher wieder herausfinden." Abends ward er in das königliche Bette
gebracht, aber er legte ein zweischneidiges Schwert zwischen sich und die junge Königin;
sie wusste nicht, was das heissen sollte, getraute aber nicht zu fragen. Da blieb er ein
paar Tage und erforschte derweil alles, wie es mit dem Zauberwald beschaffen war, endlich
sprach er "ich muss noch einmal dort jagen."
Der König und die junge Königin wollten es ihm ausreden, aber er bestand darauf und
zog mit grosser Begleitung hinaus. Als er in den Wald gekommen war, erging es ihm wie
seinem Bruder, er sah eine weisse Hirschkuh und sprach zu seinen Leuten: "Bleibt hier
und wartet, bis ich wiederkommen ich will das schöne Wild jagen", ritt in den Wald
hinein, und seine Tiere liefen ihm nach. Aber er konnte die Hirschkuh nicht einholen, und
geriet so tief in den Wald, dass er darin übernachten musste. Und als er ein Feuer
angemacht hatte, hörte er über sich ächzen "hu, hu, hu, wie mich friert!" Da
schaute er hinauf und es sass dieselbe Hexe oben im Baum.
Sprach er: "Wenn dich friert, so komm herab, altes Mütterchen, und wärme
dich." Antwortete sie: "Nein, deine Tiere beissen mich." Er aber sprach:
"Sie tun dir nichts." Da rief sie: "Ich will dir eine Rute hinabwerfen,
wenn du sie damit schlägst, so tun sie mir nichts." Wie der Jäger das hörte,
traute er der Alten nicht und sprach: "Meine Tiere schlag ich nicht, komm du
herunter, oder ich hol dich." Da rief sie: "Was willst du wohl? du tust mir noch
nichts." Er aber antwortete: "Kommst du nicht, so schiess ich dich
herunter."
Sprach sie: "Schiess nur zu, vor deinen Kugeln fürchte ich mich nicht." Da
legte er an und schoss nach ihr, aber die Hexe war fest gegen alle Bleikugeln, lachte,
dass es gellte, und rief: "Du sollst mich noch nicht treffen." Der Jäger wusste
Bescheid, riss sich drei silberne Knöpfe vom Rock und lud sie in die Büchse, denn
dagegen war ihre Kunst umsonst, und als er losdrückte, stürzte sie gleich mit Geschrei
herab. Da stellte er den Fuss auf sie und sprach: "Alte Hexe, wenn du nicht gleich
gestehst, wo mein Bruder ist, so pack ich dich auf mit beiden Händen und werfe dich ins
Feuer."
Sie war in grosser Angst, bat um Gnade und sagte: "Er liegt mit seinen Tieren
versteinert in einem Graben." Da zwang er sie, mit hinzugeben, drohte ihr und sprach:
"Alte Meerkatze, jetzt machst du meinen Bruder und alle Geschöpfe, die hier liegen,
lebendig, oder du kommst ins Feuer."
Sie nahm eine Rute und rührte die Steine an, da wurde sein Bruder mit den Tieren
wieder lebendig, und viele andere, Kaufleute, Handwerker, Hirten, standen auf, dankten
für ihre Befreiung und zogen heim.
Die Zwillingsbrüder aber, als sie sich wiedersahen, küssten sich und freuten sich von
Herzen. Dann griffen sie die Hexe, banden sie und legten sie ins Feuer, und als sie
verbrannt war, da tat sich der Wald von selbst auf, und war licht und hell, und man konnte
das königliche Schloss auf drei Stunden Wegs sehen.
Nun gingen die zwei Brüder zusammen nach Haus und erzählten einander auf dem Weg ihre
Schicksale. Und als der jüngste sagte, er wäre an des Königs Statt Herr im ganzen
Lande, sprach der andere: "Das hab ich wohl gemerkt, denn als ich in die Stadt kam
und für dich angesehen ward, da geschah mir alle königliche Ehre: die junge Königin
hielt mich für ihren Gemahl, und ich musste an ihrer Seite essen und in deinem Bett
schlafen."
Wie das der andere hörte, ward er so eifersüchtig und zornig, dass er sein Schwert
zog und seinem Bruder den Kopf abschlug. Als dieser aber tot dalag, und er sein rotes Blut
fliessen sah, reute es ihn gewaltig: "Mein Bruder hat mich erlöst", rief er
aus, "und ich habe ihn dafür getötet!" und jammerte laut.
Da kam sein Hase und erbot sich, von der Lebenswurzel zu holen, sprang fort und brachte
sie noch zu rechter Zeit: und der Tote ward wieder ins Leben gebracht und merkte gar
nichts von der Wunde.
Darauf zogen sie weiter, und der jüngste sprach: "Du siehst aus wie ich, hast
königliche Kleider an wie ich, und die Tiere folgen dir nach wie mir: wir wollen zu den
entgegengesetzten Toren eingehen und von zwei Seiten zugleich beim alten König
anlangen." Also trennten sie sich, und bei dem alten König kam zu gleicher Zeit die
Wache von dem einen und dem andern Tore und meldete, der junge König mit den Tieren wäre
von der Jagd angelangt.
Sprach der König: "Es ist nicht möglich, die Tore liegen eine Stunde weit
auseinander." Indem aber kamen von zwei Seiten die beiden Brüder in den Schlosshof
hinein und stiegen beide herauf. Da sprach der König zu seiner Tochter: "Sag an,
welcher ist dein Gemahl? es sieht einer aus wie der andere, ich kanns nicht wissen."
Sie war da in grosser Angst und konnte es nicht sagen, endlich fiel ihr das Halsband
ein, das sie den Tieren gegeben hatte, suchte und fand an dem einen Löwen ihr goldenes
Schlösschen: da rief sie vergnügt: "Der, dem dieser Löwe nachfolgt, der ist mein
rechter Gemahl." Da lachte der junge König und sagte: "Ja, das ist der
rechte", und sie setzten sich zusammen zu Tisch, assen und tranken, und waren
fröhlich. Abends, als der junge König zu Bett ging, sprach seine Frau: "Warum hast
du die vorigen Nächte immer ein zweischneidiges Schwert in unser Bett gelegt, ich habe
geglaubt, du wolltest mich totschlagen." Da erkannte er, wie treu sein Bruder gewesen
war.
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