Rumpelstilzchen KHM 55 (1857)
Märchentyp AT: 500
Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es
sich, dass er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er
zu ihm: "Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen." Der König
sprach zum Müller: "Das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt, wenn deine Tochter so
geschickt ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein Schloss, da will ich sie
auf die Probe stellen."
Als nun das Mädchen zu ihm gebracht ward, führte er es in eine Kammer, die ganz voll
Stroh lag, gab ihr Rad und Haspel und sprach: "Jetzt mache dich an die Arbeit, und
wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so
musst du sterben." Darauf schloss er die Kammer selbst zu, und sie blieb allein
darin. Da sass nun die arme Müllerstochter und wusste um ihr Leben keinen Rat: sie
verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst ward immer
grösser, dass sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Türe auf, und trat
ein kleines Männchen herein und sprach: "Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint
Sie so sehr?"
"Ach", antwortete das Mädchen, "ich soll Stroh zu Gold spinnen und
verstehe das nicht." Sprach das Männchen: "Was gibst du mir, wenn ich dirs
spinne?" "Mein Halsband", sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das
Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen,
war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr,
dreimal gezogen, war auch die zweite voll: und so gings fort bis zum Morgen, da war alles
Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold.
Bei Sonnenaufgang kam schon der König, und als er das Gold erblickte, erstaunte er und
freute sich, aber sein Herz ward nur noch geldgieriger. Er liess die Müllerstochter in
eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel grösser war, und befahl ihr, das
auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre. Das Mädchen wusste sich
nicht zu helfen und weinte, da ging abermals die Türe auf, und das kleine Männchen
erschien und sprach: "Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?"
"Meinen Ring von dem Finger", antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den
Ring, fing wieder an zu schnurren mit dem Rade und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu
glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Massen bei dem Anblick, war
aber noch immer nicht Goldes satt, sondern liess die Müllerstochter in eine noch
grössere Kammer voll Stroh bringen und sprach: "Die musst du noch in dieser Nacht
verspinnen: gelingt dirs aber, so sollst du meine Gemahlin werden."
"Wenns auch eine Müllerstochter ist", dachte er, "eine reichere Frau
finde ich in der ganzen Welt nicht." Als das Mädchen allein war, kam das Männlein
zum drittenmal wieder und sprach: "Was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das
Stroh spinne?" "Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte", antwortete
das Mädchen. "So versprich mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind."
"Wer weiss, wie das noch geht", dachte die Müllerstochter und wusste sich auch
in der Not nicht anders zu helfen; sie versprach also dem Männchen, was es verlangte, und
das Männchen spann dafür noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam
und alles fand, wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die schöne
Müllerstochter ward eine Königin.
Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das
Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach: "Nun gib mir, was du
versprochen hast." Die Königin erschrak und bot dem Männchen alle Reichtümer des
Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte: aber das Männchen sprach:
"Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt." Da fing die
Königin so an zu jammern und zu weinen, dass das Männchen Mitleiden mit ihr hatte:
"Drei Tage will ich dir Zeit lassen", sprach er, "wenn du bis dahin meinen
Namen weisst, so sollst du dein Kind behalten."
Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals
gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und
breit, was es sonst noch für Namen gäbe. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie
an mit Kaspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wusste, nach der Reihe her,
aber bei jedem sprach das Männlein: "So heiss ich nicht." Den zweiten Tag liess
sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie die Leute da genannt würden, und sagte dem
Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor "Heisst du vielleicht
Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?" Aber es antwortete immer: "So
heiss ich nicht."
Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte: "Neue Namen habe ich
keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo
Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus
brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf
einem Bein und schrie:
"Heute back ich,
Morgen brau ich,
Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
Ach, wie gut ist, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss!"
Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war, als sie den Namen hörte, und als bald
hernach das Männlein hereintrat und fragte: "Nun, Frau Königin, wie heiss
ich?" fragte sie erst: "Heissest du Kunz?" "Nein." "Heissest
du Heinz?" "Nein." "Heisst du etwa Rumpelstilzchen?"
"Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt", schrie das
Männlein und stiess mit dem rechten Fuss vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den
Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuss mit beiden Händen und riss
sich selbst mitten entzwei.
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