König Drosselbart KHM 52 (1857)
Märchentyp AT: 900
Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Massen schön, aber dabei so stolz
und übermütig, dass ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab,
und trieb noch dazu Spott mit ihnen. Einmal liess der König ein grosses Fest anstellen,
und ladete dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle
in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet; erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die
Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute. Nun ward die Königstochter durch
die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick,
"Das Weinfass!" sprach sie. Der andere zu lang: "Lang und schwank hat
keinen Gang." Der dritte zu kurz: "Kurz und dick hat kein Geschick." Der
vierte zu blass: "Der bleiche Tod!" Der fünfte zu rot: "Der
Zinshahn!" Der sechste war nicht gerad genug: "Grünes Holz, hinterm Ofen
getrocknet!" Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte
sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig
krumm gewachsen war. "Ei", rief sie und lachte, "der hat ein Kinn, wie die
Drossel einen Schnabel"; und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Der
alte König aber, als er sah, dass seine Tochter nichts tat als über die Leute spotten,
und alle Freier, die da versammelt waren, verschmähte, ward er zornig und schwur, sie
sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an, unter dem Fenster zu singen, um damit ein
geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er:"Lasst ihn
heraufkommen." Da trat der Spiehnann in seinen schmutzigen, verlumpten Kleidern
herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde
Gabe.
Der König sprach: "Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, dass ich dir meine
Tochter da zur Frau geben will." Die Königstochter erschrak, aber der König sagte:
"Ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich
auch halten." Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie musste sich
gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König:
"Nun schickt sichs nicht, dass du ein Bettelweib noch länger in meinem Schloss
bleibst, du kannst nur mit deinem Manne fortziehen."
Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie musste mit ihm zu Fuss
fortgehen. Als sie in einen grossen Wald kamen, da fragte sie "Ach, wem gehört der
schöne Wald?" "Der gehört dem König Drosselbart; Hättst du'n genommen, so
wär er dein." "Ich arme Jungfer zart, Ach, hätt ich genommen den König
Drosselbart!"
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder: "Wem gehört die schöne
grüne Wiese?" "Sie gehört dem König Drosselbart;" Hättst du'n genommen,
so wär sie dein." "Ich arme Jungfer zart, Ach, hätt ich genommen den König
Drosselbart!"
Dann kamen sie durch eine grosse Stadt, da fragte sie wieder: "Wem gehört diese
schöne grosse Stadt? "Sie gehört dem König Drosselbart; Hättst du'n genommen, so
wär sie dein." "Ich arme Jungfer zart, Ach, hätt ich genommen den König
Drosselbart!"
"Es gefällt mir gar nicht", sprach der Spielmann, "dass du dir immer
einen andern zum Mann wünschest: bin ich dir nicht gut genug?"
Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie: "Ach, Gott, was
ist das Haus so klein! Wem mag das elende winzige Häuschen sein?" Der Spielmann
antwortete: "Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen." Sie musste
sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam.
"Wo sind die Diener?" sprach die Königstochter. "Was Diener!"
antwortete der Bettelmann, "du musst selber tun, was du willst getan haben. Mach nur
gleich Feuer an und stell Wasser auf, dass du mir mein Essen kochst; ich bin ganz
müde."
Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der
Bettelmann musste selber mit Hand anlegen, dass es noch so leidlich ging. Als sie die
schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett; aber am Morgen trieb er sie schon
ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte.
Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrat
auf. Da sprach der Mann: "Frau, so gehts nicht länger, dass wir hier zehren
und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten." Er ging aus, schnitt Weiden und
brachte sie heim; da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die
zarten Hände wund.
"Ich sehe, das geht nicht", sprach der Mann, "spinn lieber, vielleicht
kannst du das besser." Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte
Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, dass das Blut daran herunterlief.
"Siehst du", sprach der Mann, "du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin
ich schlimm angekommen. Nun will ichs versuchen, und einen Handel mit Töpfen und irdenem
Geschirr anfangen: du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feil halten."
"Ach", dachte sie, "wenn auf den Markt Leute aus meines Vaters Reich
kommen, und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!"
Aber es half nichts, sie musste sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten.
Das erstemal gings gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war,
gern ihre Ware ab, und bezahlten, was sie forderte: ja, viele gaben ihr das Geld, und
liessen ihr die Töpfe noch dazu.
Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine
Menge neues Geschirr ein. Sie setzte sich damit an eine Ecke des Marktes, und stellte es
um sich her und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar dahergejagt, und ritt
geradezu in die Töpfe hinein, dass alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu
weinen und wusste vor Angst nicht, was sie anfangen sollte.
"Ach, wie wird mirs ergehen!" rief sie, "was wird mein Mann dazu
sagen!" Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. "Wer setzt sich auch an
die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr!" sprach der Mann. "Lass nur das
Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Da bin ich in
unseres Königs Schloss gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen
könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen; dafür bekommst du
freies Essen."
Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, musste dem Koch zur Hand gehen und die
sauerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Taschen ein Töpfchen fest, darin brachte
sie nach Haus, was ihr von dem Übriggebliebenen zuteil ward, und davon nährten sie sich.
Es trug sich zu, dass die Hochzeit des ältesten Königssohnes sollte gefeiert werden,
da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saaltür und wollte zusehen. Als nun
die Lichter angezündet waren und immer einer schöner als der andere hereintrat, und
alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihren Stolz
und Übermut, der sie erniedrigt und in so grosse Armut gestürzt hatte. Von den
köstlichen Speisen, die da ein- und ausgetragen wurden, und von welchen der Geruch zu ihr
aufstieg, warfen ihr Diener manchmal ein paar Brocken zu, die tat sie in ihr Töpfchen und
wollte es heimtragen.
Auf einmal trat der Königssohn herein, war in Samt und Seide gekleidet und hatte
goldene Ketten um den Hals. Und als er die schöne Frau in der Türe stehen sah, ergriff
er sie bei der Hand und wollte mit ihr tanzen, aber sie weigerte sich und erschrak, denn
sie sah, dass es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott
abgewiesen hatte. Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal; da zerriss das Band,
an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus, dass die Suppe floss und die
Brocken herumsprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter
und Spotten, und sie war so beschämt, dass sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde
gewünscht hätte. Sie sprang zur Türe hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe
holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück: und wie sie ihn ansah, war es wieder der
König Drosselbart.
Er sprach ihr freundlich zu: "Fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit
dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins: dir zuliebe habe ich mich so
verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzweigeritten hat, bin ich auch gewesen.
Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für deinen Hochmut zu
strafen, womit du mich verspottet hast."
Da weinte sie bitterlich und sagte: "Ich habe grosses Unrecht gehabt und bin nicht
wert, deine Frau zu sein." Er aber sprach: "Tröste dich, die bösen Tage sind
vorüber, jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern." Da kamen die Kammerfrauen und
taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und
wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte
Freude fing jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.
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