Die drei Sprachen KHM 33 (1857)
Märchentyp AT: 671
In der Schweiz lebte einmal ein alter Graf, der hatte nur einen einzigen Sohn, aber er
war dumm und konnte nichts lernen. Da sprach der Vater: "Höre, mein Sohn, ich bringe
nichts in deinen Kopf, ich mag es anfangen wie ich will. Du musst fort von hier, ich will
dich einem berühmten Meister übergeben, der soll es mit dir versuchen."
Der Junge ward in eine fremde Stadt geschickt, und blieb bei dem Meister ein ganzes
Jahr. Nach Verlauf dieser Zeit kam er wieder heim, und der Vater fragte: "Nun mein
Sohn, was hast du gelernt?"
"Vater, ich habe gelernt, was die Hunde bellen", antwortete er. "Dass
Gott erbarm", rief der Vater aus, "ist das alles, was du gelernt hast? Ich will
dich in eine andere Stadt zu einem andern Meister tun."
Der Junge ward hingebracht, und blieb bei diesem Meister auch ein Jahr. Als er
zurückkam, fragte der Vater wiederum: "Mein Sohn, was hast du gelernt?" Er
antwortete: "Vater, ich habe gelernt, was die Vögli sprechen." Da geriet der
Vater in Zorn und sprach: "O du verlorner Mensch, hast die kostbare Zeit hingebracht
und nichts gelernt, und schämst dich nicht, mir unter die Augen zu treten? Ich will dich
zu einem dritten Meister schicken, aber lernst du auch diesmal nichts, so will ich dein
Vater nicht mehr sein."
Der Sohn blieb bei dem dritten Meister ebenfalls ein ganzes Jahr, und als er wieder
nach Haus kam und der Vater fragte: "Mein Sohn, was hast du gelernt?" so
antwortete er: "Lieber Vater, ich habe dieses Jahr gelernt, was die Frösche
quaken." Da geriet der Vater in den höchsten Zorn, sprang auf, rief seine Leute
herbei und sprach: "Dieser Mensch ist mein Sohn nicht mehr, ich stosse ihn aus und
gebiete euch, dass ihr ihn hinaus in den Wald führt und ihm das Leben nehmt." Sie
führten ihn hinaus, aber als sie ihn töten sollten, konnten sie nicht vor Mitleiden und
liessen ihn gehen. Sie schnitten einem Reh Augen und Zunge aus, damit sie dem Alten die
Wahrzeichen bringen konnten.
Der Jüngling wanderte fort und kam nach einiger Zeit zu einer Burg, wo er um
Nachtherberge bat. "Ja", sagte der Burgherr, "wenn du da unten in dem alten
Turm übernachten willst, so gehe hin, aber ich warne dich, es ist lebensgefährlich, denn
er ist voller wilder Hunde, die bellen und heulen in einem fort, und zu gewissen Stunden
müssen sie einen Menschen ausgeliefert haben, den sie auch gleich verzehren." Die
ganze Gegend war darüber in Trauer und Leid, und konnte doch niemand helfen.
Der Jüngling aber war ohne Furcht und sprach: "Lasst mich nur hinab zu den
bellenden Hunden, und gebt mir etwas, das ich ihnen vorwerfen kann; mir sollen sie nichts
tun." Weil er nun selber nicht anders wollte, so gaben sie ihm etwas Essen für die
wilden Tiere und brachten ihn hinab zu dem Turm. Als er hineintrat, bellten ihn die Hunde
nicht an, wedelten mit den Schwänzen ganz freundlich um ihn herum, frassen, was er ihnen
hinsetzte, und krümmten ihm kein Härchen.
Am andern Morgen kam er zu jedermanns Erstaunen gesund und unversehrt wieder zum
Vorschein und sagte zu dem Burgherrn "die Hunde haben mir in ihrer Sprache offenbart,
warum sie da hausen und dem Lande Schaden bringen. Sie sind verwünscht und müssen einen
grossen Schatz hüten, der unten im Turme liegt, und kommen nicht eher zur Ruhe, als bis
er gehoben ist, und wie dies geschehen muss, das habe ich ebenfalls aus ihren Reden
vernommen." Da freuten sich alle, die das hörten, und der Burgherr sagte, er wollte
ihn an Sohnes Statt annehmen, wenn er es glücklich vollbrächte. Er stieg wieder hinab,
und weil er wusste, was er zu tun hatte, so vollführte er es und brachte eine mit Gold
gefüllte Truhe herauf. Das Geheul der wilden Hunde ward von nun an nicht mehr gehört,
sie waren verschwunden, und das Land war von der Plage befreit.
Über eine Zeit kam es ihm in den Sinn, er wollte nach Rom fahren. Auf dem Weg kam er
an einem Sumpf vorbei, in welchem Frösche sassen und quakten. Er horchte auf, und als er
vernahm, was sie sprachen, ward er ganz nachdenklich und traurig. Endlich langte er in Rom
an, da war gerade der Papst gestorben, und unter den Kardinälen grosser Zweifel, wen sie
zum Nachfolger bestimmen sollten. Sie wurden zuletzt einig, derjenige sollte zum Papst
erwählt werden, an dem sich ein göttliches Wunderzeichen offenbaren würde. Und als das
eben beschlossen war, in demselben Augenblick trat der junge Graf in die Kirche, und
plötzlich flogen zwei schneeweisse Tauben auf seine beiden Schultern und blieben da
sitzen. Die Geistlichkeit erkannte darin das Zeichen Gottes und fragte ihn auf der Stelle,
ob er Papst werden wolle. Er war unschlüssig und wusste nicht, ob er dessen würdig
wäre, aber die Tauben redeten ihm zu, dass er es tun möchte, und endlich sagte er
"Ja."
Da wurde er gesalbt und geweiht, und damit war eingetroffen, was er von den Fröschen
unterwegs gehört und was ihn so bestürzt gemacht hatte, dass er der heilige Papst werden
sollte. Darauf musste er eine Messe singen und wusste kein Wort davon, aber die zwei
Tauben sassen stets auf seinen Schultern und sagten ihm alles ins Ohr.
top