Frau Holle KHM 24 (1857)
Märchentyp AT: 480
Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleissig, und die andere
hässlich und faul. Sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter
war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause
sein. Das arme Mädchen musste sich täglich auf die grosse Strasse bei einem Brunnen
setzen, und musste so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang.
Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in
den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es
weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig
und war so unbarmherzig, dass sie sprach "hast du die Spule hinunterfallen lassen, so
hol sie auch wieder herauf."
Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfangen sollte:
und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es
verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer
schönen Wiese, wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging
es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief :
"Ach, zieh mich raus,
Zieh mich raus,
Sonst verbrenn ich,
Ich bin schon längst ausgebacken."
Da trat es herzu, und holte mit dem Brotschieber alles nacheinander heraus. Danach ging
es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Äpfel und rief ihm zu:
"Ach schüttel mich,
Schüttel mich,
Wir Äpfel sind alle miteinander reif."
Da schüttelte es den Baum, dass die Äpfel fielen, als regneten sie, und schüttelte,
bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, ging es
wieder weiter.
Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so
grosse Zähne hatte, ward ihm angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm
nach: "Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im
Hause ordentlich tun willst, so soll dirs gut gehn. Du musst nur acht geben, dass du
mein Bett gut machst und es fleissig aufschüttelst, dass die Federn fliegen, dann schneit
es in der Welt; ich bin die Frau Holle."
Weil die Alte ihm so gut zusprach, so fasste sich das Mädchen ein Herz, willigte ein
und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit, und
schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf, dass die Federn wie Schneeflocken
umherflogen; dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein böses Wort, und alle Tage
Gesottenes und Gebratenes.
Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wusste anfangs
selbst nicht, was ihm fehlte, endlich merkte es, dass es Heimweh war; ob es ihm hier
gleich viel tausendmal besser ging als zu Hause, so hatte es doch Verlangen dahin. Endlich
sagte es zu ihr: "Ich habe den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es mir auch noch so
gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muss wieder hinauf zu den
Meinigen."
Die Frau Holle sagte: "Es gefällt mir, dass du wieder nach Hause verlangst, und
weil du nur so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinaufbringen."
Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein grosses Tor. Das Tor ward
aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und
alles Gold blieb an ihm hängen. so dass es über und über davon bedeckt war. "Das
sollst du haben, weil du so fleissig gewesen bist", sprach die Frau Holle und gab ihm
auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor
verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter
Haus; und als es in den Hof kam, sass der Hahn auf dem Brunnen und rief: "Kikeriki,
Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie."
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es von
ihr und der Schwester gut aufgenommen.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte, wie es
zu dem grossen Reichtum gekommen war, wollte sie der andern hässlichen und faulen Tochter
gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie musste sich an den Brunnen setzen und spinnen; und
damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stiess sich die Hand in die
Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie
die andere, auf die schöne Wiese und ging auf demselben Pfad weiter. Als sie zu dem
Backofen gelangte, schrie das Brot wieder:
"Ach zieh mich raus,
Zieh mich raus,
Sonst verbrenn ich,
Ich bin schon längst ausgebacken."
Die Faule aber antwortete: "Da hätt ich Lust, mich schmutzig zu machen", und
ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief:
"Ach schüttel mich,
Schüttel mich,
Wir Äpfel sind alle miteinander reif."
Sie antwortete aber: "Du kommst mir recht, es könnte nur einer auf den Kopf
fallen", und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie
sich nicht, weil sie von ihren grossen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich
gleich zu ihr.
Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleissig und folgte der Frau Holle, wenn sie
ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am
zweiten Tag aber fing sie schon zu faulenzen an, am dritten noch mehr, da wollte sie
morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht, wie
sichs gebührte, und schüttelte es nicht, dass die Federn aufflogen. Das ward die
Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf. Die Faule war das wohl zufrieden
und meinte, nun würde der Goldregen kommen; die Frau Holle führte sie auch zu dem Tor,
als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein grosser Kessel voll Pech
ausgeschüttet. "Das ist zur Belohnung deiner Dienste", sagte die Frau Holle und
schloss das Tor zu.
Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem
Brunnen, als er sie sah, rief: "Kikeriki, Unsere schmutzige Jungfrau ist wieder
hie." Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, solange sie lebte, nicht
abgehen.
top