Aschenputtel KHM 21 (1857)
Märchentyp AT: 510A
Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, dass ihr Ende
herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: "Liebes
Kind, bleibe fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom
Himmel auf dich herabblicken, und will um dich sein." Darauf tat sie die Augen zu und
verschied.
Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte, und blieb fromm
und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weisses Tüchlein auf das Grab, und als
die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und weiss von Angesicht
waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme
Stiefkind an. "Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen!" sprachen sie.
"Wer Brot essen will, muss es verdienen: hinaus mit der Küchenmagd." Sie nahmen
ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an, und gaben ihm
hölzerne Schuhe. "Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!"
riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da musste es von Morgen bis Abend
schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehn, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und
waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten
es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so dass es sitzen und sie
wieder auslesen musste. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett,
sondern musste sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und
schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel. Es trug sich zu, dass der Vater einmal in
die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen
sollte. "Schöne Kleider," sagte die eine, "Perlen und Edelsteine,"
die zweite. "Aber du, Aschenputtel," sprach er, "was willst du haben?"
"Vater, das erste Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stösst, das brecht
für mich ab." Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen
und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn
ein Haselreis und stiess ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit.
Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und
dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu
seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf, und weinte so sehr, dass die Tränen
darauf niederfielen und es begossen. Es wuchs aber, und ward ein schöner Baum.
Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein
weisses Vöglein auf den Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das
Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.
Es begab sich aber, dass der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte,
und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine
Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, dass sie auch dabei
erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen: "Kämm uns
die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir gehen zur Hochzeit
auf des Königs Schloss." Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum
Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben.
"Aschenputtel," sprach sie, "bist voll Staub und Schmutz, und willst zur
Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe, und willst tanzen!" Als es aber mit
Bitten anhielt, sprach sie endlich: "Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die
Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du
mitgehen."
Das Mädchen ging durch die Hintertür nach dem Garten und rief: "Ihr zahmen
Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir
lesen,
Die guten ins Töpfchen,
Die schlechten ins Kröpfchen."
Da kamen zum Küchenfenster zwei weisse Täubchen herein, und danach die
Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel
herein und liessen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen
und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick,
pick, und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so
waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die
Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit
gehen. Aber sie sprach: "Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider, und kannst nicht
tanzen: du wirst nur ausgelacht." Als es nun weinte, sprach sie: "Wenn du mir
zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du
mitgehen," und dachte: "Das kann es ja nimmermehr."
Als sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen
durch die Hintertür nach dem Garten und rief: "Ihr zahmen Täubchen, ihr
Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
Die guten ins Töpfchen,
Die schlechten ins Kröpfchen."
Da kamen zum Küchenfenster zwei weisse Täubchen herein und danach die
Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel
herein und liessen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen
und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick,
pick, und lasen alle guten Körner in die Schüsseln. Und ehe eine halbe Stunde herum war,
waren sie schon fertig, und flogen alle wieder hinaus.
Da trug das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun
dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: "Es hilft dir alles nichts:
du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müssten uns
deiner schämen." Darauf kehrte sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei
stolzen Töchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den
Haselbaum und rief:
"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
Wirf Gold und Silber über mich."
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber
ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine
Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müsse eine fremde
Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten
sie gar nicht und dachten, es sässe daheim im Schmutz und suchte die Linsen aus der
Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er
wollte auch sonst mit niemand tanzen, also dass er ihm die Hand nicht losliess, und wenn
ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: "Das ist meine Tänzerin." Es
tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Hause gehen. Der Königssohn aber sprach:
"Ich gehe mit und begleite dich," denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen
angehörte.
Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis
der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär in das Taubenhaus gesprungen. Der
Alte dachte: "Sollte es Aschenputtel sein?" und sie mussten ihm Axt und Hacken
bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte; aber es war niemand darin. Und
als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und
ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war geschwind aus dem
Taubenhaus hinten herabgesprungen, und war zu dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte es die
schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder
weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche
gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub, und die Eltern und Stiefschwestern wieder
fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:
"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
Wirf Gold und Silber über mich."
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es
mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit.
Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte
nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: "Das ist
meine Tänzerin."
Als es nun Abend war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach und wollte
sehen, in welches Haus es ging: aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus.
Darin stand ein schöner grosser Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, es kletterte
so behend wie ein Eichhörnchen zwischen die Äste, und der Königssohn wusste nicht, wo
es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam, und sprach zu ihm: "Das
fremde Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum
gesprungen." Der Vater dachte: "Sollte es Aschenputtel sein?" liess sich
die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf.
Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst auch, denn
es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem
Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu
seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:
"Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
Wirf Gold und Silber über mich."
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend, wie es noch
keins gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der
Hochzeit kam, wussten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der
Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er:
"Das ist meine Tänzerin."
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es
begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, dass er nicht folgen konnte. Der
Königssohn hatte aber eine List gebraucht, und hatte die ganze Treppe mit Pech
bestreichen lassen: da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängen
geblieben. Der Königssohn hob ihn auf, und er war klein und zierlich und ganz golden.
Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: "Keine andere soll
meine Gemahlin werden als die, an deren Fuss dieser goldene Schuh passt." Da freuten
sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füsse. Die älteste ging mit dem
Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie
konnte mit der grossen Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte
ihr die Mutter ein Messer und sprach: "Hau die Zehe ab: wenn du Königin bist, so
brauchst du nicht mehr zu Fuss zu gehen." Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den
Fuss in den Schuh, verbiss den Schmerz und ging hinaus zum Königssohn. Da nahm er sie als
seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mussten aber an dem Grabe vorbei, da
sassen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:
"Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck (Schuh):
Der Schuck ist zu klein,
Die rechte Braut sitzt noch daheim."
Da blickte er auf ihren Fuss und sah, wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd
um, brachte die falsche Braut wieder nach Hause und sagte, das wäre nicht die rechte, die
andere Schwester solle den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den
Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu gross. Da reichte ihr die Mutter ein
Messer und sprach: "Hau ein Stück von der Ferse ab: wann du Königin bist, brauchst
du nicht mehr zu Fuss gehen."
Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuss in den Schuh, verbiss
den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und
ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, sassen die zwei Täubchen
darauf und riefen:
"Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck (Schuh):
Der Schuck ist zu klein,
Die rechte Braut sitzt noch daheim."
Er blickte nieder auf ihren Fuss und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den
weissen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die
falsche Braut wieder nach Hause. "Das ist auch nicht die rechte", sprach er,
"habt ihr keine andere Tochter?"
"Nein", sagte der Mann, "nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein
kleines verbuttetes Aschenputtel da: das kann unmöglich die Braut sein." Der
Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: "Ach
nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen." Er wollte es aber
durchaus haben, und Aschenputtel musste gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und
Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen
Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuss aus dem schweren
Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die
Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen,
das mit ihm getanzt hatte, und rief: "Das ist die rechte Braut."
Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger: er
aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen
vorbeikamen, riefen die zwei weissen Täubchen
"Rucke die guck, rucke di guck,
Kein Blut im Schuck:
Der Schuck ist nicht zu klein,
Die rechte Braut, die führt er heim."
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabgeflogen und setzten sich dem
Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen. Als
die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern,
wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen.
Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die älteste zur rechten, die jüngste
zur linken Seite: da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Hernach, als sie
herausgingen, war die älteste zur linken und die jüngste zur rechten: da pickten die
Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und
Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft.
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