Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich KHM
1 (1857)
Märchentyp AT: 440
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König,
dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber,
die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe
bei dem Schlosse des Königs lag ein grosser dunkler Wald, und in dem Walde unter einer
alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag sehr heiss war, so ging das Königskind
hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie
Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie
wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.
Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter
nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die
Erde schlug und geradezu ins Wasser hineinrollte. Die Königstochter folgte ihr mit den
Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief, dass man keinen
Grund sah. Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht
trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: "Was hast du vor,
Königstochter, du schreist ja, dass sich ein Stein erbarmen möchte". Sie sah sich
um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken hässlichen
Kopf aus dem Wasser streckte. "Ach, du bists, alter Wasserpatscher," sagte sie,
"ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist."
"Sei still und weine nicht," antwortete der Frosch, "ich
kann wohl Rat schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder
heraufhole?"
"Was du haben willst, lieber Frosch," sagte sie, "meine
Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage."
Der Frosch antwortete: "Deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine und deine goldene
Krone, die mag ich nicht; aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle
und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen
Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir
das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder
heraufholen."
"Ach ja," sagte sie, "ich verspreche dir alles, was du
willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst." Sie dachte aber: Was der
einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt, und kann
keines Menschen Geselle sein."
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter,
sank hinab, und über ein Weilchen kam er wieder heraufgerudert; hatte die Kugel im Maul
und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk
wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. "Warte, warte," rief der
Frosch, "nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du." Aber was half ihm,
dass er ihr sein Quak, quak so laut nachschrie, als er konnte! Sie hörte nicht darauf,
eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen
hinabsteigen musste.
Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel
gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein ass, da kam, plitsch platsch, plitsch
platsch, etwas die Marmortreppe heraufgekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es
an der Tür und rief: "Königstochter, jüngste, mach mir auf." Sie lief und
wollte sehen, wer draussen wäre, als sie aber aufmachte, so sass der Frosch davor. Da
warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der
König sah wohl, dass ihr das Herz gewaltig klopfte, und sprach: "Mein Kind, was
fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?"
"Ach nein,", antwortete sie, "es ist kein Riese, sondern
ein garstiger Frosch." "Was will der Frosch von dir?" "Ach lieber
Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen sass und spielte, da fiel meine goldene
Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil
er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er sollte mein Geselle werden, ich dachte
aber nimmermehr, dass er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draussen und will zu
mir herein." Indem klopfte es zum zweitenmal und rief
"Königstochter, jüngste,
Mach mir auf,
Weisst du nicht,
Was gestern
Du zu mir gesagt
Bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
Mach mir auf."
Da sagte der König: "Was du versprochen hast, das musst du auch halten; geh nur
und mach ihm auf." Sie ging und öffnete die Türe, da hüpfte der Frosch herein, ihr
immer auf dem Fusse nach, bis zu ihrem Stuhl. Da sass er und rief: "Heb mich herauf
zu dir: "Sie zauderte, bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem
Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da sass, sprach er: "Nun schieb mir
dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen." Das tat sie zwar, aber
man sah wohl, dass sies nicht gerne tat. Der Frosch liess sichs gut schmecken,
aber ihr blieb fast jedes Bisslein im Halse. Endlich sprach er: " Ich habe mich satt
gegessen und bin müde, nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein
zurecht, da wollen wir uns schlafen legen."
Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie
nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte.
Der König aber ward zornig und sprach: "Wer dir geholfen hat, als du in der Not
warst, den sollst du hernach nicht verachten." Da packte sie ihn mit zwei Fingern,
trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bette lag, kam er gekrochen
und sprach: "Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf, oder
ich sags deinem Vater." Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn
aus den Kräften wider die Wand. "Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch."
Als er aber herabfiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen
freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da
erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte
ihn aus dem Brunnen erlösen können, als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in
sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie
aufweckte, kam ein Wagen herangefahren mit acht weissen Pferden bespannt, die hatten
weisse Straussfedern auf dem Kopf und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der
Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich.
Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt
worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor
Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich
abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war
voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der
Königssohn, dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um
und rief
"Heinrich, der Wagen bricht."
"Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in grossen Schmerzen,
als Ihr in dem Brunnen sasst,
als Ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart)."
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer,
der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich
absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.